Freitag, 29. September 2006

D’rasha zum Wochenabschnitt כי תצא

in meinem blog möchte ich regelmäßig meine gedanken zur torah oder anderen jüdischen themen veröffentlichen. anfangen möchte ich mit einer "predigt", die ich in der bamberger gemeinde während des kabbalat shabbat G'ttesdienstes vor einigen wochen gehalten habe.

D’rasha zum Wochenabschnitt כי תצא
Es ist für mich jedes Mal von neuem ein kleines Wunder, zu lesen, wie in der Torah so detailgenau das Zusammenleben von uns Menschen wahrgenommen und in die „Rechtspraxis“ mit eingefügt wurde. Es ist erstaunlich, wie unsere Stärken und auch unsere Schwächen aufgenommen wurden, und Gebote, Verbote und vor allem menschliche Vorbilder uns Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, ein bisschen gerechter, ein bisschen ehrlicher, ein bisschen besser zu werden.
72 solcher Mitzwot sind in dem Wochenabschnitt „Ki Teze“ in schneller Reihenfolge aufgeführt. Kein anderer Wochenabschnitt bietet in gleicher Dichte soviel an „Wegweisern durchs Leben“ an wie dieser. Oftmals handelt es sich nur um einen einzigen Satz.
Wenn ich mir den Wochenabschnitt durchlese, dann entdecke ich Mitzwot, die ich leicht nachvollziehen kann, die mir verständlich erscheinen, und die mit meinen Werten 100% übereinstimmen, z.B. dass man ein Geländer um sein Hausdach bauen muss, wenn es begehbar ist (DTN 22,8).Die Regel ist einfach zu verstehen. Hier besteht Lebensgefahr für jeden, der auf mein Dach kommt, und ich mache mich mitschuldig, wenn der Betreffende herunterfällt. Dann werden in dem Wochenabschnitt Regeln aufgestellt, die schon etwas schwieriger sind, das Warum scheint nicht immer so einfach.
Der Großteil der Gebote aus Ki Teze regelt das Miteinander von uns Menschen: Umgang mit Fundsachen, Umgang mit Leuten, denen ich etwas verliehen habe, Verhältnismäßigkeit von Strafe, oder, etwas sehr Bedeutendes, dass auch vermeintlich Rechtlose (d.h. Witwen, Waisen und Ausländer) in unserer Gesellschaft Rechte haben. Andere Gebote in „Ki Teze“ machen es einem dagegen richtig schwer, sie zu verstehen. Das Warum scheint sich, zumindest auf den ersten Blick nicht zu erschließen.

In Vers 22.12 in unserem Wochenabschnitt steht folgendes Gebot: „Schnüre sollst du dir machen an den vier Ecken deines Mantels, mit welchem du dich bedeckst.“ Um dieses Gebot heute zu erfüllen, haben wir den Tallit als Kleidungsstück entwickelt. Entweder den großen Tallit, den wir während der Morgeng’ttesdienste und zu Jom Kippur tragen, oder den kleinen Tallit, Tallit-Katan, den einige unter dem Hemd tragen, und von dem die Zizit, so heißen diese Schaufäden bzw. Schnüre, an der Hose herunterhängen. Aber warum sollen wir dieses Gebot erfüllen, was bedeuten die Zizit und wie helfen sie uns, unseren Weg durchs Leben zu finden, vergleichbar den anderen Mitzwot?
Während meines Israelaufenthaltes vor einigen Monaten habe ich beschlossen, mich der Sache in einem „Selbstversuch“ weiter zu nähern und rein praktisch dieser Frage nachzugehen. Der Selbstversuch in Israel war recht problemlos. Ich trug den kleinen Tallit ständig und sichtbar. Nichts Störendes, kein unangenehmes Gefühl. Im Grunde ist die Mitzwah so leicht zu erfüllen, wie die, deren Sinn man versteht, z.B. dass man gefundene Sachen zurückgeben muss. Vielleicht ist es sogar noch einfacher. Groß nachdenken muss man ja eigentlich nicht, und schnell gehört das Überziehen des kleinen Tallit mit den Zizit zum morgendlichen Ritual.
Das Gebot der Zizit steht in einem interessanten Umfeld.
22.5 Keine weibliche Person soll Gerät eines Mannes
tragen und keine männliche Person soll das Gewand einer Frau antun.
22.9 Du sollst deinen Weinberg nicht mit vermischten
Arten besäen.
22.10 Du sollst nicht mit einem Ochsen und einem Esel
zugleich ackern
22.11 Du sollst kein Gewebe tragen, worin Wolle und
Leinen vermischt ist
Alle 4 Mitzwot gleichen sich in ihrer Aussage darin, dass wir unterscheiden sollen. Dass nicht alles gleich ist und auch nicht gleich gemacht werden soll. Und direkt darauf folgt die Mitzwa mit den Schnüren an unserer Kleidung. Eine Vorschrift, die sich direkt an uns Juden richtet, und von uns fordert, dass wir uns von anderen Menschen unterscheiden sollen.
Übrigens gehören meiner Meinung nach auch unsere Speisegesetze zu der gleichen Gruppe von Vorschriften, mit denen wir uns von anderen Völkern unterscheiden sollen: Laut dem Archäologen Israel Finkelstein ist z.B. das Nicht-Essen von Schweinefleisch eines der ältesten, wenn nicht sogar das älteste überlieferte Ritual unseres Volkes. Es hat nichts damit zu tun, dass Schweinefleisch weniger haltbar war als anderes, sondern rein zur bewussten Unterscheidung von anderen Stämmen um sie herum haben unsere Vorväter und -mütter dieses Ritual eingeführt. Juden essen kein Schweinefleisch – eine Tradition, an der auch die meisten Juden festhalten.
Gunter Plaut erklärt die Zizit in seinem Torah Kommentar zu dieser Parascha: „Die Quasten dienen zur Erinnerung an Gottes ständige Gegenwart.“ Er leitet diese Überlegung von nachfolgendem Torah-Abschnitt ab:
„Ferner sprach der Ewige zu Mosche wie folgt: »Rede mit den Kindern
Jisraels und sage ihnen, sie sollen bei allen ihren Nachkommen Schaufäden
[Zizit] an die Ecken ihrer Kleider machen und an diesen Schaufäden eine Schnur
von dunkelblauer Wolle befestigen. Diese sollen euch zu Schaufäden dienen, dass
ihr sie seht und euch aller Gebote des Ewigen erinnert und sie haltet, nicht
aber eurem Herzen und euren Augen nachwandelt, die euch auf Abwege verführen. Ihr werdet dadurch meiner Gebote eingedenk sein um sie zu halten und eurem Gott heilig zu sein. Ich bin der Ewige, euer Gott, der ich euch aus Mizrajim geführt habe um euer Gott zu sein. Ich der Ewige, euer Gott!«“ (Num. 15,37-41)
Ein Bekannter erklärte mir vor kurzem, in Anlehnung an diesen Torah-Abschnitt, dass die Zizit für ihn so eine Art Weckerfunktion haben, dass er, jedes Mal, wenn er vor einer schwierigen Aufgabe stehe, fast schon unbewusst, nach seinen Zizit greift und sie durch seine Finger gleiten lässt. Wörtlich sagte er: „Sie erinnern mich, dass jemand da ist, der mir die Kraft gibt, die Aufgabe zu meistern.“ Ich persönlich finde, dass dies eine durchaus schöne und wichtige Erfahrung ist, die uns eigentlich nicht nur während des G’ttesdienstes möglich sein sollte.

Und wie der Satz aus unserem heutigen Wochenabschnitt, fordert auch dieser soeben zitierte Abschnitt von uns, dass wir uns unterscheiden sollen, in dem wir Juden uns durch das Tragen der Zizit vor G’tt heiligen. In unserer Tradition versteht man unter „etwas heiligen“, etwas vom Profanen, Alltäglichen, abzusondern, zu unterscheiden. In diesem Sinne bedeutet es, dass wir Juden uns von anderen unterscheiden sollen.
Es kann mit dieser Mitzwah aber wohl kaum gemeint sein, dass wir etwas besseres als die anderen sind, und uns deswegen von anderen unterscheiden sollen, dass wir uns überhöhen sollen, so wie ein König, der durch seine Kleidung zeigt: Passt auf, hier kommt der König, ich bin der größte und schönste. Auch glaube ich kaum, dass die Zizit eine Erfindung sind, um uns zu erniedrigen oder auszugrenzen, nach dem Motto: Passt auf, hier kommt ein Jude, kommt mir lieber nicht zu nahe … Also wozu soll ich mich unterscheiden?
Vielleicht ist mein Selbstversuch der Schlüssel zur Lösung. Recht schnell bemerkte ich nämlich, dass ich plötzlich erkennbar ein Jude war. Jeder, der mit einer Kippa durch die Straßen geht, weiß, was ich meine: Durch dieses Merkmal kann man mich ohne Probleme als Jude identifizieren. Meine Handlungen sind nicht mehr nur die des Individuums Adrian, sondern auch die aller Juden, gerade in einer Gesellschaft, in der nur wenige Juden leben.
Und selbst wenn 99 von 100 Nicht-Juden beim Anblick der Zizit denken, meine Kleidung würde sich in Einzelteile auflösen, wird der eine, der sie richtig zuordnen kann, genau beobachten, was ich als Jude mache.
Und wenn ich dann z.B. eine Dose oder anderen Müll einfach auf die Straße werfe, denkt er im schlimmsten Fall, dass uns Juden die Umwelt egal ist. Lasst es mich lieber positiv formulieren: Wenn du dich für den Tierschutz einsetzt (in unserem Wochenabschnitt spielt der Tierschutz ebenfalls eine wichtige Rolle), und die Menschen um dich herum wissen, dass Du Jude bist, wird das sicher auch ein positives Bild auf alle Juden werfen.
Das gleiche gilt umso mehr innerjüdisch: vielleicht sieht mich ein anderer Jude, der streng koscher zu essen pflegt, wie ich in einen McDonald gehe, und denkt sich, der geht da essen, also kann ich das auch. Es ist dabei übrigens völlig egal, ob ich nur auf die Toilette musste, oder wirklich dort essen wollte. Durch mein Vorbild habe ich dazu beigetragen, dass der andere eventuell etwas tut, das er nicht wollte. Oder wieder positiv: er sieht, wie Du Zedaka machst und folgt deinem Beispiel.
Je erkennbarer ich als Jude bin, desto bewusster muss ich mir meiner Handlungen sein. Und genau hierin sehe ich die Aufgabe der Zizit, also die Antwort auf meine Ausgangsfrage nach dem Grund für die Zizit: Ich glaube, dass sich die Unterscheidung, die wir durch das Tragen der Zizit machen, sich an uns selbst richtet. Sie sollen uns daran erinnern, dass wir Juden sind, und entsprechend handeln sollen. Jeder Knoten in den Zizit steht für ein Gebot, also auch für den Tierschutz, die Gerechtigkeit und die Nächstenliebe aus unserem Wochenabschnitt.
„Ihr werdet dadurch meiner Gebote eingedenk sein“ – welch weiser Satz, ganz so, als ob der Schöpfer dieser Worte wusste, dass wir ab und an ein Hilfsmittel benötigen, um gute Menschen zu sein. Auch wenn es nur lustige Fäden sind, die chaotisch und wild an uns herunterhängen.
Shabbat Shalom

Neues Jahr - neue Vorsätze

okay, vor nicht mal einer woche hat das neue jahr begonnen und es wird zeit, dass ich wenigstens mit einem vorsatz, den ich mir für dieses jahr vorgenommen habe, beginne.

endlich vernünftig zu bloggen.

sozusagen, um mich selbst ein wenig zu disziplinieren und dinge festzuhalten, die nicht nur für mich interessant sein könnten, sondern auch euch, den massen vor den bildschirmen, spass bereiten können. ich will aber auch zum nachdenken anregen, zum diskutieren und zum widerspruch.

ich freue mich auf eure reaktionen.

nun zu mir:

ich bin student in potsdam und am abraham-geiger-kolleg. d.h. ich möchte rabbiner werden. derzeit bin ich irgendwie zwischen dem ersten und dem zweiten jahr. angefangen habe ich genau vor einem jahr, war aber zunächst für ein halbes jahr in jerusalem. seid dem letzten semester mache ich nun die uni potsdam durch meine anwesenheit unsicher.

was noch wichtig ist. ich bin 33, jüdisch, gutaussehend und in der regel glücklich. ich mag das leben und liebe die menschen. alles weitere werdet ihr hier in den kommenden wochen und hoffentlich jahren nachlesen können. wenn es zu peinlich wird, sagt mir bitte bescheid.

und jetzt ran an die tasten

shanah tovah v'chatima tovah

Adi


p.s.: mein vorbild in der blogger-welt: chajm. jedes mal ein KLICK wert.

Labels


Shalom

oy weh! ein jude ...

Mein Bild
Charlottenburg, Berlin, Germany
שלום Shalom, wolltet Ihr schon immer mal wissen, was so ein Rabbinerstudent in Berlin alles erlebt? Nun, mein Blog soll Euch einen kleinen Einblick gewähren. Kurzinfos zu meiner Person: Rabbinerstudent im ersten Jahr, 35, verheiratet, zwei Katzen, zur Zeit in Berlin, aber im Herzen in München und Jerusalem, Aktiv bei arzenu Deutschland, ReChtSCHreibMuffel

Jewish Blogs

Webring:
Blogs von Juden in Deutschland

Vorheriger Blog Liste aller Blogs Zufälliger Blog Mitmachen! Nächster Blog